Die Liebe ist ein Fluss. Sie beginnt als zarter sprudelnder klarer Quell an Zuneigung, unschuldig und erfrischend. Dieser Quell ist das erste Herzklopfen, die Schmetterlinge im Bauch und das „breit lächelnd“ durch die Straßen laufen. In dieser Phase der Liebe ist alles möglich und das perfekte Glück ganz nah.
Mit der Zeit entwickeln sich die Emotionen weiter. Die Liebe wächst von der Quelle zum plätschernden Bach und vom Bach zum gleichmäßig strömenden Fluss mit Stromschnellen und Wasserfällen, um dann wieder mit gleichförmiger Kraft nach vorn zu fließen und die Zeit mit sich davon zu tragen. Und wir mittendrin.
Jede Art von zwischenmenschlicher Beziehung ist ein Prozess der Entwicklung. Ob die Bindung zwischen Mutter und Kind, Freundschaften, Teamfindung im Job oder Liebesbeziehungen, alle durchlaufen Phasen, die unterschiedliche Lernaufgaben in sich tragen.
Die Art der Beziehung unterscheidet sich hier nur in Nuancen, zum Beispiel geht es in der Mutter/ Eltern – Kind Bindung seltener um das „ob“ es weitergeht, als vielmehr um das „wie“. Freundschaften hingegen haben in der Regel mehr Zeit die Phasen zu durchlaufen, da die Nähe eine andere ist, als die in einer Partnerschaft.
Und Partnerschaften, nun ja, kommen in der egoistischen westlichen Gesellschaftsstruktur immer seltener über Phase drei hinaus.
Dinge, die nicht mehr funktional sind, Technik, Spielzeug, Kleidung werden leichtherziger als früher entsorgt, weil sie im Weg sind und behindern. Es ist einfacher diese Dinge wiederzubeschaffen, vielleicht sogar schöner und glamouröser als vorher, als sie zu pflegen und zu bewahren. Das gilt zunehmend auch für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Online-Plattformen suggerieren eine schnelle Kontaktaufnahme zum perfekten Partner. Laut Profil ist alles drin und dran was gewünscht ist. Sportlichkeit, Sexiness, Intelligenz, Kinderwunsch oder auch nicht. Da sitz dann manch frustrierter „Noch-Teilnehmer“ einer kriselnden Partnerschaft und denkt sich, „es muss doch noch was anderes geben!“. Dieser Gedanke scheint angenehmer zu sein, als sich den Klippen der bestehenden Partnerschaft zu stellen, zumal das bedeuten könnte, auf sich selbst zu blicken und sich verändern zu müssen.
Die Verliebten von einst, die 100jährigen, die auf eine lange erfolgreiche Partnerschaft zurückblicken, haben alle eines gemeinsam. Sie wissen, dass jede Partnerschaft Arbeit und ein „sich einlassen“ bedeutet.
„Der Reporter befragt das Ehepaar, das seinen 75jährigen Hochzeitstag feiert, nach dem Geheimnis ihrer langen Partnerschaft. Die Frau antwortet daraufhin lächelnd: „Wissen Sie junger Mann, wir stammen aus einer Zeit, in dem die Dinge noch repariert und nicht einfach weggeworfen wurden.“ (unbekannt)
Im Folgenden schauen wir uns an, welche Phasen der Liebe es gibt und welche Lernaufgaben diese innehaben. In welcher stecken Sie? Erkennen sie sich wieder?
Phase 1 Die Verliebtheitsphase – der Quell allen Ursprungs
Verliebtsein ist eines der schönsten Gefühle, dass wir Menschen kennen. Die Welt ist plötzlich ein schönerer, besserer, bunterer Ort. Wir sind motiviert, fröhlich, voller Elan. Das Gegenüber ist das schönste, was uns passieren konnte. In dieser Zeit wollen wir am besten rund um die Uhr Zeit miteinander verbringen und ineinander verschmelzen. Grenzen existieren nur physisch und sind eher störend.
Schuld an diesem fast manischen Chaos ist ein Hormoncocktail aus Dopamin, Cortisol und Oxytocin. Dieser Drogenrausch ist es, der Schwächen unseres potenziell perfekten Lieblingsmenschen ausblenden lässt.
Forscher fanden heraus, dass im Zustand des Verliebtseins, dieselben Hirnregionen aktiv sind, wie bei Süchtigen. Dies führt dazu, dass der/ die Abgewiesene mit Liebeskummer dieselben Schmerzen eines Suchtkranken erlebt, also quasi auf „Entzug“ ist.
Solange dieser Zustand der Verliebtheit jedoch anhält, ist die einzige Aufgabe, zu genießen. Im Vordergrund stehen Zweisamkeit, Spaß, körperliche Nähe und natürlich Sex.
Phase 2 Ernüchterung – der ruhige, trübe Fluss
Die Phase der Ernüchterung ist nicht die schönste, aber leider unvermeidbar. Ernüchterung ist nicht gleichzusetzen mit Zweifel, vielmehr kommt die Beziehung einfach im Alltag an. Die Hormone regulieren sich, das Gegenüber wird wieder vom Thron geholt und im Lichte der Realität genauer betrachtet. Die bis dahin fast überlebensnotwendige Symbiose löst sich mehr und mehr und wir brauchen wieder mehr Freiraum für eigene Projekte und Freundschaften.
In dieser Phase kennen wir den Anderen schon besser und sind kritisches mit dessen Wünsche und Bedürfnisse, aber auch mit unseren eigenen.
In der Phase 2 entscheidet sich, ob aus der wilden Verliebtheit Liebe wachsen kann, oder ob sich die Wege doch wieder trennen.
Im Übrigen, wenn Sie in früheren Beziehungen Enttäuschungen erlegen sind und die Ernüchterung sehr spontan auftritt, hinterfragen Sie sich kritisch. Manchmal kann auch ein Selbstschutzmechanismus dahinter stecken. Auf jeden Fall hilft hier das Reden, über Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte.
Phase 3 Kampfphase- reißender Fluss und Stromschnellen
In der Phase 3 können mächtig die Fetzen fliegen. Die Zahnpastatube liegt schon wieder offen rum, oder die Socken. Ständig kommt der andere zu spät. Was der Partner in der rosaroten Verliebtheitsphase niemals gemacht hat, tut er nun, einzig allein um den Anderen zu ärgern 😉
Die Kampfphase ist eine wichtige, weil es nun darum geht seine Rolle in der Partnerschaft zu finden. Wer ist wann der Leader, wer ist in welchen Dingen kompetenter und wo eben nicht. Die Ecken und Kanten treten nun zum Vorschein, weil wir uns sicherer miteinander fühlen und nicht mehr auf Rücksichtnahme und Werbung gepolt sind, sondern auf unsere Stellung in der Beziehung.
Manchen Paaren gelingt es, die Distanzen, die unterschiedliche Vorleben mit sich bringen zu überbrücken und zu umschiffen. Auch hier gilt, Kommunikation und Respekt sind die Grundpfeiler, um die weitere Beziehung zu klären.
Grundsätzlich ist es einfacher, den Anderen in seinem „so sein“ anzunehmen, ohne ihn verändern zu wollen. Hilfreich ist, auf die eigenen Filter zu achten. Warum nervt es mich so, dass er beim Bananenessen schmatz, oder das sie es nicht ertragen kann, wenn ein Topf mal nicht in der richtigen Schublade steht? Dem Nachzugehen und den Filter abzustellen ist der Schlüssel zu einer entspannten Beziehung, wenn nicht jetzt, dann bei der nächsten Beziehung.
Phase 4 Entscheidungsphase – die Flussgabelung
Die Kampfphase ist geschafft, die kleinen Scharmützel und die großen Eskalationen sind erfolgreich gemeistert worden. In dieser Phase nun entscheidet sich, ob und wie die Beziehung weitergehen kann. Wir kennen jetzt die Macken, Ecken und Kanten des Partners und entscheiden, ob das „anders sein“ für uns tragbar ist, oder ob vielleicht doch ein anderer Partner auf uns wartet, irgendwo da draußen.
Tatsächlich ist die Entscheidungsphase die, in der die meisten Trennungen verlaufen. Besonders Menschen, die möglicherweise unter einer Bindungsangst leiden, steigen in Phase 4 aus. Hier fließen Gewässer wieder langsamer, gleichmäßiger und hier ist das Paar auf sich zurückgeworfen. Die großen Emotionen der Verliebtheit oder der Kampfphase täuschen nun nicht mehr über die Unebenheiten hinweg und emotionale Langeweile kann auftreten. Weniger reflektierte Menschen, oder Menschen mit Bindungsstörungen können diese gemächlich eintreten Ruhe mit Desinteresse und Gefühllosigkeit verwechseln. Obacht, wenn Sie sich wieder einmal, trotz vormals großer Gefühle fragen, „war das schon alles“? Vielleicht gehen Sie ihren Trollen auf den Leim.
Ein weiterer Stolperstein in dieser Phase ist die unterschiedliche Fließgeschwindigkeit der jeweiligen Partner. Der eine, oft die Frau, ist sich schon relativ schnell sicher, dass diese Beziehung Bestand haben kann und befindet sich gefühlt schon auf dem Weg zu Phase 5, während der Andere noch in Phase 3 um sein Territorium kämpft. Hier sind Missverständnisse und Verletzungen vorprogrammiert, oft zeigen sich Nähe- Distanz Konflikte. Diese können aber bei guter Beobachtung und dem Willen zur Kommunikation vermieden oder zumindest abgemildert werden.
Phase 5 – Ruhige Fahrwasser
Durchatmen! Hier in Phase 5 sind die Weichen gestellt um in eine lange Partnerschaft einzutauchen und um eine tief verbundene Liebe zu erleben. Der andere kann mit seinen Ecken und Kanten akzeptiert und angenommen werden. Die verbrachte Zeit ist voller gemeinsamer Erlebnisse die verbinden. Das Vertrauen ist tief, sodass beide Partner wieder mehr Freiraum beanspruchen können, ohne dass die Sorge einer Trennung ständig lauert.
Diese Phase ist für viele Menschen erstrebenswert aber für manche nicht aushaltbar. Liebe und Sicherheit kann mit Langeweile verwechselt werden. Besonders für bindungsunsichere Menschen kann die Phase 5, sollten sie bis hierhin durchgehalten haben, eine große Herausforderung sein. Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Nähe und Verbundenheit und der Angst vor Autonomieverlust kann zur Zerreißprobe werden, deren Bewältigung für den Betroffenen zur Bewältigung eines Lebensthemas werden kann. Aber es lohnt sich für Beide hier genauer hinzuschauen.
Phase 6 – Eine weite tiefe Strömung
Wer die Phase 5 erfolgreich gemeistert hat, kann sich in Phase 6 auf das „Ankommen“ freuen. Paare die es hierhergeschafft haben, berichten davon sich tief zu vertrauen, sich streiten zu können, ohne die ganze Beziehung in Frage zu stellen. Phase 6 ist neben der Verliebtheitsphase die intensivste und schönste und die, die eine ziemlich genauen Prognose über die Dauer der Beziehung zulässt. Aber Obacht! Auch wenn Sie sich diese Zeit in der Partnerschaft redlich verdient haben, gilt auch hier, Stillstand ist Tod. Um Wachsen und sich entwickeln zu können, ist es wichtig immer und Aufregung hergestellt? Haben Sie als Paar eine gute Streitkultur? Haben Sie nach wie vor dieselben Ziele und ähnliche Träume? Und nicht zuletzt, welche blinden Flecken haben Sie selbst in ihrer Persönlichkeit, über die Sie immer wieder stolpern? Ein Abgleich dessen, auch mit der Unterstützung eines Paarberaters, kann diese schöne und tiefe Phase von echter Liebe und Freundschaft lange bewahren.
In Beziehungen und Partnerschaften jeglicher Form werden 6 Phasen unterschieden. Jede Beziehung unterliegt jedoch individuellen Dynamiken. Manchmal werden nicht alle Phasen erreicht, oder Partner nehmen die Phasen unterschiedlich in Qualität und Zeitpunkt wahr. Der eine wähnt sich vielleicht in einer andauernden Phase des Kampfes und der Auseinandersetzung, während der andere für sich schon Entscheidungen getroffen hat, oder nach wie vor in der Verliebtheitsphase steckt.
Es ist wichtig, die 6 Phasen nicht als statische Ablaufplanung zu sehen mit Punkten, die es gilt möglichst gekonnt und ohne großen Schaden abzuhaken. Vielmehr soll dieses Modell zur Orientierung dienen um vielleicht aufzudecken, warum die Bedürfnisse der Partner (oder auch der Kinder) gerade zu kurz kommen, oder Frust aufkommt, oder Zweifel. Es kann ein Status Quo herausgestellt werden, mit dem gelingende Strategien zur Festigung der 5 Säulen einer Beziehung (Kommunikation, Respekt, Offenheit, Unterstützung und Loyalität) erarbeitet werden können.
Partnerschaften sind nie statisch, sondern dynamisch, sie entwickeln sich weiter und verändern sich. Es ist auch möglich, nach gelungener Phase 5 wieder in die Phase 3 zu rutschen, weil ein Partner vielleicht untreu war. Andererseits ist auch noch im hohen Alter und langer Ehe ein Ausflug in die Phase 1 möglich.
Alles ist möglich, denn die Liebe ist ein Fluss.
ACHTUNG!
Es ist nie richtig, in einer Beziehung zu verharren, die in ihrer Destruktion großen Schaden anrichtet; körperlich und auch psychisch. Wird man mit Gewalt konfrontiert, körperlich und/oder emotional, gilt es IMMER eine Grenze zu ziehen und sich ggf. Hilfe zu holen!
Für alle anderen Fälle lohnt sich immer ein Blick, ob man nicht einer Tücke der Beziehungsphasen auf den Leim geht. Das lohnt sich, versprochen!